Der Gewinner 2020: Vinyl

14. Dezember 2020

Erstmals seit 34 Jahren liegen die Vinyl-Umsätze wieder über denen der CD.

Es war der wohl düsterste Tag der Musikindustrie, als die Verkaufszahlen der aktuellen Woche Mitte März bei den Plattenfirmen eintrafen: Die schlechteste Woche für Musikalben seit 60 (!) Jahren. Das war noch zu Beginn der Pandemie. Wie wir wissen, hat die Industrie seitdem so manchen dunklen Tag hinnehmen müssen. Seit 10 Monaten ist das Live-Geschäft zum Erliegen gekommen, Albumveröffentlichungen werden konstant verschoben, und es besteht kaum noch Hoffnung, dass Touren und Liveshows so bald wieder stattfinden werden.

Umso wichtiger war die Nachricht Mitte September für den Vinyl-Markt. Denn es war offiziell: Zum ersten Mal seit 34 Jahren lagen die Umsätze physischer Schallplatten wieder über denen der CD. Es war, als hätte ein in die Jahre gekommener Held endlich seine späte Genugtuung erfahren. In den 90ern fast verschwunden, auf Flohmärkten ins Nischendasein gedrückt, war Vinyl wieder auferstanden – und hatte zudem seine Vorjahresumsätze verdoppelt. Wie ist das passiert? 5 gute Gründe:

1. Vinyl-Käufer ticken anders.

Wir alle hören Musik nahezu überall. Unterwegs, auf der Arbeit, wir haben sie immer dabei – und müssen sie dank Streaming-Abos noch nicht einmal mehr kaufen um sie zu genießen. Wer heute eine Schallplatte kauft, hat anderes mit der Musik vor: aktiv zuhören, sich einlassen auf das Album, das Knistern dazu genießen, abschalten. Und da wir in diesem Jahr mehr Zeit zuhause verbracht haben als jemals zuvor, hatten wir auch die Möglichkeit, uns ganz auf eine Schallplatte einzulassen.

2. Vinyl-Fans sind jünger als wir glauben.

Das Klischee des alten Rockers, der im Flohmarkt-ähnlichen Plattenladen den Verkäufer zuquatscht und alte Geschichten erzählt, beginnt zu bröckeln. Scott Hagen, CEO des Turntable-Herstellers Victrola, erklärt, dass sich heute besonders 60% der Millennials im Alter zwischen 18 und 29 Jahren einen Plattenspieler zugelegt haben und regelmäßig Platten kaufen¹.

3. Vinyl ist eine zukunftssichere Investition.

Unheimlich viele Klassiker sind neu auf Platte herausgekommen. Jede Woche kommt mindestens ein spannendes Re-Issue heraus, mit opulenten Booklets und Sleeves, Special Editions – auch der Record Store Day heizt jedes Jahr den Fans ein, sich nach besonderen limitierten Auflagen auf die Suche zu machen. In 2020 wurden an einem einzigen Tag mehr als 800.000 Pressungen verkauft – Rekord. Im Gegensatz zu allen anderen physischen Tonträgern steigt der Wert von seltenen Auflagen im Lauf der Jahre – nicht ganz uninteressant, sobald man an seine eigene Altersvorsorge denkt.

4. Vinyl kann unsere Hörgewohnheiten ändern.

Ein gutes Album zu konzipieren und aufzunehmen sollte eigentlich immer im Interesse des Künstlers sein, dennoch haben in der vergangenen Dekade viele schnell eingespielte und uninspiriert gestaltete Alben den Markt geflutet. Bei vielen Künstlern reichte ab und ein guter Song, um in den Streaming Portalen oben mitzuspielen. Beim Hören einer Schallplatte haben wir hingegen nicht die Lust, ständig zum Plattenspieler zu laufen und zum nächsten Song zu skippen, wie wir es sonst auf unserem Smartphone täten. Wir wollen das ganze Album hören. Und das muss dann auch gut sein, ausbalanciert produziert und von der ersten bis zur letzten Minute spannend eingespielt.

5. Vinyl ist profitabler.

Bei aller Euphorie: Vinyl ist und bleibt eine Nische. 85% der Musik wird über Streaming konsumiert, während bezahlte Downloads weiter abnehmen. Besonders die CD hat 2020 gelitten. Auch wenn sie in Sachen Stückzahlen den Vinylplatten noch überlegen ist, so sind die Umsätze mit Vinyl höher: Kunden geben hier gerne mehr aus, wenn das Trägermaterial bunt eingefärbt ist, ein extra-dickes Booklet beigelegt oder die Pressung auf 180 Gramm erfolgt ist. Hier spielen alle Sinne eine Rolle – und da kann eine CD im Standard-Jewelcase oder ein schneller Stream nicht mithalten.

¹ ^{Hagen, S. (2020) in John, S.}^{Why Vinyl is coming back}^{, Oct 20, 2020,}^{https://www.themanual.com/culture/why-vinyl-is-coming-back/}

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