Soundgirls.org: Für mehr Frauen in der Audio-Industrie
6. Dezember 2021
Sie sind kreativ, gut ausgebildet - und unterrepräsentiert: Frauen müssen in der Audio-Industrie immer noch lauter sein als Männer, um gehört zu werden.
Für gesellschaftlichen Fortschritt hat die Musikindustrie stets den Soundtrack geliefert. Es sind Songs und Künstler*innen, die das, was viele denken (aber vielleicht nicht auszusprechen wagen) in Worte fassen und ihm eine Stimme geben. Für eines der großen Themen unserer Zeit, der Diversität, liefern Megastars wie Beyoncé, P!NK und viele andere regelmäßig sowohl den Gesprächsstoff als auch die Songs. Man könnte also meinen: In der Musikindustrie läuft das doch ganz gut in Sachen Diversity. Oder?
Wenig glamourös: die Statistiken.
Ein Blick auf die Daten jenseits der gefühlten Wahrheit zeichnet – selbst in einem solch breitgefächerten Feld wie der Musik- und Audio-Branche – ein wenig glamouröses Bild. So hat die University of Southern California (The Annenberg Inclusion Initiative – Annual Report) jüngst herausgefunden, dass in der Musikindustrie lediglich 21,6% aktive Künstler*innen mit Plattenvertrag mindestens eine Chartnotierung vorweisen können. Nur 12,6% der Songs sind von Frauen geschrieben.
In der Riege der Produzent*innen sieht es noch schlechter aus: bittere 2,6% aller Producer sind weiblich. Zwar hatte dieser Anteil im Jahre 2019 mit 5% eine deutliche Steigerung erfahren, doch COVID-19 hat auch hier die Gleichstellung um Jahre zurückgeworfen. Ein Jahr später war der Anteil wieder auf dem Niveau von 2015 (Statista, 2021).
Soundgirls.org: Jetzt oder nie!
Besonders die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns organisieren müssen. Wenn wir keine Lobby haben, müssen wir uns selbst vernetzen und nach Leuten suchen, mit denen wir uns austauschen können. Dass Frauen in der Musikindustrie wenige Netzwerke haben, ist allerdings keine Erkenntnis, die wir erst in den vergangenen zwei Jahren erlangt haben.
Nicht miteinander vernetzt, gar nicht wissend, dass es in der Industrie so viele gibt, die dasselbe spüren wie man selbst: So war es auch, als sich die Live Sound Ingenieurinnen Karrie Keyes und Michelle Sabolchick Pettinato bei der Panel-Veranstaltung „Women of Professional Concert Sound“ auf der AES Conference 2012 in San Francisco zum ersten Mal trafen. Beide stellten fest: „Seit mehr als 20 Jahren waren wir in diesem Business, und nie sind wir uns über den Weg gelaufen. Es war nur eine Sache von ein paar Minuten und wir haben uns gefühlt wie Schwestern, die sich jahrelang nicht gesehen haben.“
Karrie Keyes und Michelle Sabolchick Pettinato, Gründerinnen von Soundgirls.org
Wenn es also ihnen als etablierte und erfolgreiche Live Sound Profis schon so geht, wie muss es dann für junge Frauen sein, die gerade erst Fuß fassen wollen in der Industrie? Wo sind all die Frauen, von denen sie lernen und sich Rat holen können? Dieser Gedanke war der Startschuss für Karries und Michelles Soundgirls.org. Gemeinsam mit einem breiten Netzwerk von Organisationen, Marken und spannenden Leuten in der Industrie wollen sie der neuen Generation von Frauen das Zepter reichen.
Mittlerweile ist aus Soundgirls.org eine internationale Organisation geworden, zu der mehr als 6000 Mitglieder gehören. Es gibt Workshops, Hilfe bei der Jobsuche, ein Mentor*innen-Programm, Communities und regelmäßige Treffen. Erst kürzlich haben die Soundgirls in Australien einen weiteren Arm ihres Netzwerkes erfolgreich an den Start gebracht.
Veränderung – Jeden Tag einen Schritt mehr.
Man muss Karrie und Michelle nicht lange fragen, worum es bei Soundgirls.org wirklich geht. Alle Aktivitäten der Organisation stehen unter einem ganz einfachen Motto: „You can’t be what you can’t see.“ Wir alle brauchen Vorbilder, um zu entdecken, was in uns steckt. Wenn ich als junges Mädchen bei meinem ersten Livekonzert eine Frau am Mischpult sehe, inspiriert mich das vielleicht, später auch einmal eine Soundingenieurin zu werden. Wenn ich weiß, dass es da eine ganze Reihe talentierter Frauen in der Industrie gibt, wie sollte ich da noch zögern, ein Teil von ihnen zu werden?
Wir alle wissen, dass es eines kulturellen Wandels bedarf, um die Geschlechter-Gleichheit in der Audio-Industrie zu erreichen. Veränderung kommt nicht mit einem Fingerschnippen – sie bedeutet harte Arbeit. Umso wichtiger ist es, dass Soundgirls.org jeden Tag aufs Neue zeigt, wie divers und aufregend die Audiowelt mit starken und gut vernetzten Frauen ist. Wer weiß, vielleicht denkt ja gerade jetzt, in diesem Augenblick, ein Mädchen bei einem Konzert: Was sie kann, das kann ich auch!
Foto: Soundgirls.org