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The Clinic: Für mentale Gesundheit in Zeiten der Stille

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Tour-Roadies kämpfen während der anhaltenden Lockdowns gegen Existenzangst, finanzielle Ungewissheit und posttraumatischen Stress.

Plötzlich war es, als hätte jemand die Zeit angehalten und unsere Welt, wie wir sie kennen, zum Stillstand gebracht. Alles, was uns eben noch so alltäglich erschien, ging nicht mehr: Theaterbesuche, Konzerte, abends spontan noch ausgehen… In kaum einer Branche ging so plötzlich einfach gar nichts mehr wie in der Live-, Event- und Musik-Industrie.

Klar, da gab es viele Ideen und neue Konzepte für rein virtuelle Performances, Musiker*innen nutzten besondere Plätze – manchmal sogar das Küchenfenster – für spontane Konzerte, doch nunmehr fast zwei Jahre nach dem ersten Lockdown ist die anfängliche Kreativität längst einer tiefsitzenden Existenzangst gewichen, die nicht mehr weggeht. Mit Wohnzimmer-Konzerten lässt sich kein Geld verdienen, und die monatlichen Rechnungen kommen nach wie vor rein. Besonders hart getroffen hat es diejenigen, die ihren Lebensunterhalt im Touring-Geschäft machen: Was macht ein/e Tour-Roadie ohne Tour?

 

Ein Härtetest für die mentale Gesundheit.

Es gab dieses Aufatmen, als Ende 2020 der erste Impfstoff zugelassen wurde und uns Grund zur Hoffnung gab, dass wir zumindest medizinisch eine Antwort auf Corona haben. Die finanziellen Einbrüche und die schlechte mentale Verfassung derer, die in der Industrie im Live-Betrieb tätig sind, werden sich mit einem Impfstoff nicht heilen lassen. Wer als Tour-Roadie arbeitet, hat im Zweifel mittlerweile seit fast zwei Jahren nicht mehr arbeiten können. Das geht an die Substanz, schlimmer noch: das macht psychisch krank. Panikattacken, posttraumatischer Stress und Burn-Out: Wer in einem ohnehin schon stressigen Job plötzlich von 100% Auslastung und monatelanger Abwesenheit von Zuhause plötzlich ins Nichts fällt, weil die Touren gecancelt werden, kann mental noch so stark sein – „erwischen“ kann es jede/n. Über die Gefahr der psychischen Langzeitschäden für die Betroffen wird noch viel zu selten gesprochen.

 

Courtney und Paul Klimson, Gründer von The Clinic

 

Courtney und Paul Klimson kennen das. Gemeinsam haben sie seit mehr als 20 Jahren im Touring-Geschäft gearbeitet, seit 17 Jahren sind sie verheiratet. In einem Interview mit dem RollingStone hat Courtney es auf den Punkt gebracht: „Hinter den Kulissen der Touren zu arbeiten, bedeutet lange Arbeitsstunden und enormen Stress – aber du hast niemanden, an den du dich wenden kannst, wenn du Hilfe brauchst. Da gibt es nirgendwo eine Personalabteilung, die sich um dich kümmert1.“ Auch stellen wir uns das Leben nach der Tour für Roadies einfacher vor, als es ist. Viele fallen nach monatelanger Anstrengung in kurzen Phasen der Regeneration in ein tiefes Loch, wissen gar nicht mehr, wohin mit sich. All das hat das Paar in seinen Jobs auf Tour selbst erlebt und festgestellt, dass Roadies einen Ort brauchen, zu dem sie gehen können, ob physisch oder virtuell, wo man sie auffängt, wenn sie fallen – besonders jetzt, da das seltsame Nichts zwischen den Touren, vor dem sich alle fürchten, zum Dauerzustand geworden ist.

 

Roadie Support Group. The Clinic.

Die Idee für ihre Roadie Support Group, eine Non-Profit-Organisation mit dem Ziel, sich für die Bedürfnisse der Touring-Mitarbeiter einzusetzen, kam dem Paar laut Paul Klimson schon lange vor der Pandemie, und er befürchtete sogar, dass Corona ihre Pläne ad acta legen würde. „Aber unsere 17 Freiwilligen, allesamt selbst Roadie Veteranen in der Industrie, haben uns den nötigen Druck gemacht“, sagt er. Und so kam The Clinic zustande: Ein Ort, an dem man einchecken kann, in dem das Paar mit Therapeuten und Beratern zusammenarbeitet, um mit ihren Klienten Pläne zu entwickeln, kurz: die Zukunft zu gestalten und die Resilienz zu fördern.

 

 

Besonders in Zeiten von COVID-19 war es den Beiden wichtig, sich nicht nur in einem physischen Ort zu bewegen – man will den Menschen auch dort helfen, wo sie sich gerade befinden, und so war in den letzten Monaten online sehr viel los. Denn wer in einem persönlichen Gespräch in einer Videokonferenz etwas erreichen kann, einen Perspektivwechsel, ein Stück Trost oder einfach Dasein für jemanden, der erreicht schon ganz schön viel.

Das Gute dabei: Auf die Touring-Industrie ist Verlass, wenn es darum geht, sich gegenseitig zu helfen. „Bisher hat es nicht eine Person gegeben,“ so Courtney, „die nicht sofort dabei war, als sie von unserem Vorhaben erfuhr. Menschen sind neugierig, aufgeregt und wirklich erleichtert, sie wollen dabei sein und helfen, so dass wir auch weiterhin am Start sind, wenn die Touring Season wieder losgeht.“

Wie jede Non-Profit-Organisation braucht auch The Roadie Support Group / The Clinic Unterstützung, sowohl finanziell als auch mental. Durch Courtney’s und Paul’s unermüdlichen Einsatz sind Medien und Industry-Partner auf ihre Arbeit aufmerksam geworden und bringen sich ein.

 

Mentale Gesundheit – immer noch ein Tabuthema.

Besonders Corona und der Umgang damit in der Politik, Wirtschaft, Bildung und Familie, hat gezeigt, dass unsere mentale Gesundheit immer noch ein selten diskutiertes und wenig beachtetes Thema in unserer Gesellschaft ist. Was Courtney und Paul gemeinsam mit ihrem Netzwerk aus der Live-Industrie geschaffen haben, ist ein positives Beispiel, von denen es (über alle Bereiche hinweg) noch viel zu wenige gibt.

Langzeitschäden in Sachen mentaler Gesundheit sind keine Modeerscheinung und sicherlich nicht nur der Pandemie zuzuschreiben, dennoch sind Corona und die damit einhergehenden Veränderungen und Einschränkungen ein starker Katalysator für psychische Probleme. Ein gesellschaftlicher oder industrieller Lockdown ist immer auch ein persönlicher. Und gerade dann, wenn wir spüren, dass uns der Boden unter den Füßen entzogen wird, wir gar vor dem finanziellen oder gesellschaftlichen Aus stehen, dann brauchen wir Hilfe, Beratung und eine Perspektive. Das gilt nicht nur für Roadies, das gilt für uns alle. Achtsam sein, helfen und sich selbst helfen lassen, das ist immer ein guter Anfang.

 

 

1 Klimson, C. in Hissong, S. (2020) “There’s no HR on Tour. So One Music Couple Built a Roadie Support Group”, RollingStone, 30 July 2020, available from: https://www.rollingstone.com/pro/features/roadie-clinic-live-music-touring-advocacy-1035731/

 

Fotos: Jed Jillejo via Unsplash, Roadie Support Group

 

 

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