Von der Vision zur Realität: Wie das MERCI-Projekt die Entwicklung von DECT NR+ vorantreibt
2. November 2025
Im Vorfeld der DECT World 2025 demonstriert die deutsch-französische Forschungs- und Entwicklungskooperation zwischen Universitäten und Unternehmen das volle Potenzial von DECT NR+
Wedemark, November 2025 – Wer den Begriff „DECT“ hört, denkt vermutlich zuerst an das kabellose Haustelefon. Dabei haben die DECT-Technologien schon immer weit mehr als die nur die Telefonie bedient. Sie legen den Grundstein für eine Vielzahl unterschiedlicher Kommunikationslösungen. Über mehrere Evolutionsstufen hinweg hat DECT sein Potenzial kontinuierlich erweitert. Die neueste Entwicklung, DECT NR+, basiert auf einer völlig neuartigen Funktechnologie. An genau diesem Punkt setzt das deutsch-französische Innovationsprojekt MERCI an. Es wurde 2023 ins Leben gerufen, um professionelle Lösungen für lokale 5G-Netze zu entwickeln, die auf DECT-2020 NR (DECT NR+) basieren oder durch dieses ergänzt werden. Seitdem hat die Initiative eine Reihe von Technologie-Demonstratoren hervorgebracht, die die vielfältigen Möglichkeiten von DECT NR+ aufzeigen. Als erstes nicht-zelluläres 5G-Forschungsprojekt, das von Anfang an professionelle Audio- und Unterhaltungsanwendungen mit einbezog, hat MERCI die Branchen mit dem industriellen IoT-Sektor zusammengebracht. Das MERCI-Projekt wurde zwar Ende Juli 2025 abgeschlossen, doch seine Ergebnisse – die Anfang dieses Jahres bei einem Abschluss-Workshop in der Sennheiser-Zentrale vorgestellt wurden – begeistern DECT-Enthusiast*innen weit über Europa hinaus.
Rückblickend bezeichnet Dr. Andreas Wilzeck, der deutsche Konsortialleiter von MERCI, die frühe Verfügbarkeit der ersten Chipsets und Entwicklungsboards des assoziierten Partners Nordic Semiconductor als „Durchbruch für MERCI im Oktober 2023“. Weniger als zwei Jahre später legte der Abschluss-Workshop das gesamte Funktionspotenzial von DECT NR+ offen. Ganz egal, ob es um automatisierte Fahrzeuge, die weltweit erste MPEG-H-Objekt-Audio-Liveübertragung oder die vollständige Vertonung von Konzerten geht – die neue Technologie erfüllt nicht nur alle Anforderungen für den industriellen Gebrauch, sondern auch jene für professionelle Audioanwendungen, bei denen Zuverlässigkeit und eine konstant niedrige Latenz eine entscheidende Rolle spielen.
Wilzeck kommentiert: „Um die 5G-Vision für professionelles Audio zu realisieren, war Sennheiser in den letzten zehn Jahren an einer Vielzahl von Forschungsprojekten beteiligt. Leider erwiesen sich alle Bemühungen als wirtschaftlich oder technisch nicht tragfähig, manchmal sogar in beiderlei Hinsicht. Mit dem MERCI-Projekt, das die DECT NR+ Technologie nutzt, sieht die Lage nun ganz anders aus: MERCI hat die Tauglichkeit von DECT NR+ für viele Anwendungsfälle unter Beweis gestellt. Diese Technologie wird das bestehende DECT-Produktportfolio bereichern und massiv verbessern.“

Das Geheimnis hinter dem Potenzial von DECT NR+ liegt laut Jens Pilz, Projektmanager bei MERCI, darin, dass „DECT NR+ ein völlig neuer Standard ist“. „Alle bisherigen DECT-Versionen, einschließlich DECT Evolution, waren darauf ausgelegt, DECT für bestimmte Anwendungen zu optimieren, ohne jedoch die Basistechnologie zu tangieren, um die Kompatibilität zu gewährleisten. Der neue DECT NR+-Standard hat dagegen einen ganz neuen Weg eingeschlagen, indem bewusst auf eine Abwärtskompatibilität verzichtet wurde. Im Fokus stand allein die Erhaltung der Koexistenz. Der Grund, warum diese neue DECT NR+-Technologie so schnell bereitgestellt werden konnte, hing damit zusammen, dass sie von Anfang an Zugang zum exklusiven 1,9-GHz-DECT-Band hatte, in dem hochsensible Anwendungen wie Robotersteuerungssysteme eingesetzt werden können.“
Zu den Referent*innen des Workshops zählten Dr. Walter Mattauch, verantwortlich für die Entwicklung digitaler Technologien im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, sowie Jens Pilz und Jan Outters, der französische Konsortialleiter von MERCI. Im Rahmen ihrer Vorträge zeichneten sie die Entwicklung von DECT NR+ nach – von den Anfängen bis zum heutigen Stand. Jussi Numinnen, Vorsitzender des ETSI TC DECT, rundete die Veranstaltung ab, in dem er die Projektmitglieder und Gäste dazu einlud, die Forschungsdemonstratoren selbst zu erleben.

Private 5G-Netze mit verblüffenden Fähigkeiten
Die Demonstrationen vermittelten einen Eindruck von der Leistungsfähigkeit der neuen DECT-Generation. Während herkömmliche 5G-Netze auf Basis der bestehenden 3GPP-Technologie verschiedene Einschränkungen mit sich bringen – etwa im Hinblick auf die Kosten, die Leistung und die Netzinhaberschaft, bietet die 5G-Übertragung auf Basis von DECT NR+ nicht nur eine bessere Leistung, sondern löst auch den Konflikt zwischen der unternehmensinternen IT und OT (Betriebstechnik). Private 5G-Netzwerke werden selbst in verdichteten Umgebungen zugänglich für alle, ohne dass es zu geschäftlichen Schwierigkeiten oder wirtschaftlichen Belastungen kommt.
In der Industriekommunikation sind die Lebenszyklen aufgrund der Kosten für Fertigungslinien beispielsweise viel länger als in der Consumer-Technologie. Aus diesem Grund haben drahtlose und Netzwerktechnologien erst vor kurzem Einzug in die Fertigungsbereiche gehalten, sodass DECT NR+ zum richtigen Zeitpunkt kommt.
„Für Hersteller liegen die Vorteile von DECT NR+ basiertem 5G auf der Hand: Kosten und Komplexität sinken gleichermaßen, da man modulare Netzwerke aufbauen kann“, erklärt Dr.-Ing. Mathias Bohge, CEO der R3 Solutions GmbH. „Für 3GPP Netzwerke benötigt man teure Hardware, die mehrere tausend Euro kosten kann. Die DECT NR+ Boards kosten dagegen nur ein paar hundert Euro. Derzeit ist es ein bisschen wie David gegen Goliath: Auf der einen Seite stehen die großen Telekommunikationsunternehmen mit ihrem 3GPP-Standard, auf der anderen Seite DECT NR+, das zwar noch klein, aber extrem leistungsstark ist und von Europa vorangetrieben wird. Ich bin begeistert von dieser großartigen Technologie!“

R3 Solutions und Götting haben das Standardprotokoll DECT NR+ in eine Anwendung integriert, bei der ein Scanner mit einem Kamerafahrzeug kommuniziert. Dieses fährt automatisch um Künstler*innen herum, die sich auf der Bühne bewegen. In einer Fabrikhalle könnte der Scanner beispielsweise eine Maschine anhalten, wenn eine Person einen vordefinierten Bereich verlässt. Außerdem könnte er mehrere kleine Fahrzeuge innerhalb eines bestimmten Bereichs zuverlässig steuern, wofür es heute noch Scanner an jedem einzelnen Fahrzeug braucht.
Pilz unterstreicht: „An dem Projekt war kein großes Telekommunikationsunternehmen beteiligt. Bei den Teilnehmern handelte es sich entweder um kleine oder mittelständische Unternehmen, die europäische Technologie einsetzten und über eine Innovationskraft verfügten, die ich bisher in keinem anderen Projekt erlebt habe.“

ATEME und Jan Outters haben eine immersive Audiolösung mit MPEG-H-Objekt-Audio vorgestellt, die die weltweit erste Objekt-Audioübertragung über DECT NR+ implementiert. Die Audiosignale wurden von der Band Sonic Crusaders aufgenommen, die auf einer Sennheiser-Bühne performte. Anschließend wurden die Signale drahtlos über DECT NR+ an ein Mischpult und von dort an ein virtuelles Endgerät übertragen, wo die Nutzer*innen die einzelnen Audioobjekte – beispielsweise die Stimme des Leadsängers oder das Audio-Signal des Keyboards – nach Belieben anordnen und dabei die Lautstärke, den Azimut, die Elevation und viele weitere Parameter anpassen konnten.

Pilz merkt an: „Wohlgemerkt, es handelt sich hierbei um die allererste Iteration von DECT NR+. Und nach unseren Untersuchungen wird das System in Zukunft noch viel mehr leisten können. Der nächste Schritt wird darin bestehen, die Demonstrator-Boards weiterzuentwickeln und zu miniaturisieren, um sie in Systemmodule zu integrieren, die in Produkte eingebaut werden können. Außerdem muss für industrielle Anwendungen eine zweite Bezugsquelle für die Chips geschaffen werden, um nicht von einem einzigen Hersteller abhängig zu sein.“

Neue Modelle für Frequenzdienste
Die Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften zeigte, wie eine Schnittstelle zwischen den Zuweisungsdiensten einer Regulierungsbehörde und Funknutzer*innen, die auf DECT NR+ setzen, automatisiert und digitalisiert werden könnte. Bei der Planung einer Veranstaltung würden die Nutzer*innen einfach ihren Standort auf einer Karte anklicken sowie Datum und Uhrzeit ihrer Veranstaltung eingeben, woraufhin sie umgehend eine Rückmeldung von der Regulierungsbehörde erhalten würden, was die Frequenzzuweisung für professionelle HF-Manager*innen erheblich vereinfachen würde.

Intelligente Messung mit DECT NR+
Wirepas, Spezialist für IoT-Anwendungen, stellte eine auf DECT NR+ beruhende Wireless-Mesh-Technologie vor, die insbesondere in bevölkerungsreichen Ländern einen enormen Beitrag zu intelligenten Messanwendungen leisten wird.

Neben der Entwicklung eigener kleiner DECT NR+- Boards arbeitete die Technische Universität Cartagena auch an Mesh-Funktionalität und Smart-Metering-Anwendungen. Dabei zeigte sie einen Vibrationssensor, der die Fernüberwachung von Standorten ermöglicht.
Software-Defined Radio
Das Institut für Kommunikationstechnik der Leibniz Universität Hannover (LUH) präsentierte Software-Defined Radio, das im Frequenzbereich von 3,8 bis 4,2 GHz senden kann. Also in einem Frequenzband, das für die Zuweisung an private 5G-Netze in Europa diskutiert wird – und damit auch den Beweis erbrachte, dass DECT NR+ außerhalb des klassischen 1,9-GHz-Bands funktionieren kann.

Was die Sicherheit betrifft, können alle Daten auf verschiedenen Ebenen verschlüsselt werden, wobei nur „Absender*in“ und „Empfänger*in“ sichtbar sind. Pilz ergänzt: „In der Zukunft könnten alle DECT NR+-fähigen Geräte dabei helfen, Datenpakete weiterzuleiten; beispielsweise könnte ein Beleuchtungssystem Audiodaten transportieren. Auf diese Weise können viele kleine Netzwerke zusammenarbeiten und gleichzeitig zum Schutz der verschlüsselten Daten beitragen.“
Die LUH untersuchte auch die Zusammenarbeit lokaler DECT NR+-Netzwerke mit großen klassischen 5G-Netzen über 3GPP-Mobilfunknetze. Da DECT NR+ eine alternative oder ergänzende Technologie für Funkzugangsnetze darstellt, könnten 3GPP-Mobilfunknetze potenziell genutzt werden, um die DECT NR+-Abdeckung über das lokale Netzwerk hinaus zu erweitern.
Da der Workshop in einer industriellen Umgebung stattfand, konnte auch verdeutlicht werden, dass die Koexistenz mit älteren DECT-Geräten kein Problem darstellt. Der DECT-Standard verlangt, dass alle DECT-Geräte ihre Frequenzen nach anderen Nutzer*innen absuchen und Funktionen wie Frequenzsprungverfahren einsetzen, um auf einer freien Frequenz zu senden.
Lokale/globale Medien- und Musikproduktion über DECT NR+
RFmondial und Sennheiser nutzten das MERCI-Evaluierungsboard von RFmondial, um ein drahtloses DECT NR+-Mikrofon zu entwickeln. Während die DECT NR+-Sender-/Empfänger-Kombination ähnlich wie ein herkömmliches UHF-Funkmikrofon funktionierte, nur eben in einem anderen Frequenzbereich, wurde ein mobiles Modem an den DECT NR+-Empfänger angeschlossen, wodurch über das öffentliche Mobilfunknetz eine Verbindung zum Internet hergestellt wurde. Auf diese Weise konnte das lokale Audiosignal mühelos in der Cloud gespeichert werden. Da es nun über das Internet zugänglich war, konnte die Audiodatei von überall auf der Welt bearbeitet werden.

Eine weitere mögliche Anwendung betrifft die Fernsteuerung der Tontechnik, bei der die Techniker*innen über einen Laptop oder ein Mobiltelefon aus der Ferne auf eine Band zugreifen und über einen Feedback-Pfad über die Cloud Audioanpassungen vornehmen kann. Eine solche Konfiguration wäre auch ideal für DSP als Dienstleistung, bei der Dateien verarbeitet werden könnten, um Audioverbesserungen vorzunehmen und den Pegel anzupassen.
Pilz erklärt: „Wir nutzen beide drahtlosen Technologien in dem Bereich, in dem sie derzeit besonders leistungsstark sind. Also DECT NR+ wegen seiner geringen Latenz und das Mobilfunknetz für den Internetzugang.“
Nach den Demonstrationen war es wieder Zeit für Sonic Crusaders, die Bühne zu betreten und ihre begeisterten Gäste mit einem Minikonzert ihrer Hits zu verwöhnen.

Weitere Informationen zu dieser erstaunlichen Technologie und dazu, wie die Ergebnisse der MERCI-Forschungsinitiative künftig genutzt werden sollen, stehen im Fokus der DECT World 2025, der größten Veranstaltung für DECT-Technologien, die im November in München stattfindet.
Über das MERCI-Projekt
MERCI steht für Media and Event production via Resilient Communication on IoT Infrastructure.
Gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, dem französischen Ministerium für Wirtschaft und Finanzen (MEFR) und bpi France, verfolgt MERCI das Ziel, innovative Lösungen für private 5G-Netzwerke auf der Basis von DECT-2020 NR zu entwickeln. Das Projekt vereint die Medien- und Veranstaltungsbranche, die Inhalte produziert und verbreitet, mit dem industriellen IoT-Sektor. Beide teilen ähnliche Anforderungen – und können künftig eng zusammenarbeiten.
Zum MERCI-Konsortium gehören ATEME, die Leibniz Universität Hannover, die Ostfalia Hochschule, RFmondial, R3 Solutions, Sennheiser, Vitec und Wirepas. Assoziierte Partner sind der Bayerische Rundfunk, die Bundesnetzagentur, das DECT Forum, Götting und Nordic Semiconductor.
https://franco-german-5g-ecosystem.eu/merci/
https://www.merci-5g.eu/
Über DECT NR+
DECT-2020 NR ist von der ITU-R international als IMT-2020 (5G)-Standard für URLLC und mMTC anerkannt und ermöglicht zudem eine zuverlässige Breitbandkommunikation. Als offener ETSI-Standard, der die 5G/6G-Vision vorantreibt, kann DECT-2020 NR einer der wichtigsten Innovationsmotoren für mehr wirtschaftliche und technologische Souveränität in Europa sein. Private 5G-Netzwerke werden selbst in verdichteten Umgebungen zugänglich für alle, ohne dass es zu geschäftlichen Schwierigkeiten oder wirtschaftlichen Belastungen kommt. Sie können durch eine branchenorientierte, flexible Implementierung von wertsteigernden und nachhaltigen Lösungen zu Produktivitätssteigerungen beitragen. Das MERCI-Projekt soll einen wesentlichen Beitrag zu dieser Vision leisten.
(Ende)
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